Complexity Scorecard
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Prüfsiegel gültig bis 2022
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Die Beherrschung und gezielte Steuerung von Komplexität im Unternehmen gehört zu den Kernaufgaben von Führungskräften. Die präzise Erfassung und Bewertung von Komplexität stellt unter anderem das Controlling und die Kostenrechnung vor neue Herausforderungen. Die Maßnahmen zum Komplexitätsmanagement müssen kontinuierlich hinsichtlich ihrer Erfolgswirkung beurteilt werden. Als Dreh- und Angelpunkt erfolgreichen Komplexitätscontrollings hat sich die sorgfältige Berücksichtigung von Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Komplexitätstreibern und Fachabteilungen im Unternehmen herausgestellt. Die Complexity Scorecard liefert hierzu einen geeigneten Rahmen. Sie ermöglicht die Ableitung von Optimierungspotenzialen und die Bewertung der Erfolgswirksamkeit von Maßnahmen im Rahmen des Komplexitätsmanagements (Amann et al., 2013, S. 158ff). Hierzu werden aufbauend auf dem Konzept der Balanced Scorecard die Dimensionen Finanzen, Markt/Produkt, Produktion und Change Management für die Bewertung der Komplexität definiert.
Motivation und Problemstellung
Unternehmen sehen sich heutzutage einer Vielzahl unterschiedlicher Komplexitätstreiber ausgesetzt. Diese lassen sich in interne und externe Treiber aufteilen. Interne Komplexitätstreiber sind dabei z. B. ein historisch gewachsenes Portfolio und ein heterogenes Produktionsnetzwerk. Externe Komplexitätstreiber sind z. B. starker Wettbewerbsdruck durch neue Konkurrenten und eine stärkere Segmentierung der Märkte. Zielsetzung der Complexity Scorecard ist es daher die interne Komplexität, unter Beibehaltung externer Vielfalt für den Kunden, zu reduzieren. Dabei wird die Komplexität nicht isoliert je Unternehmensfunktion betrachtet sondern ausgehend vom Konsumenten über den Markt, das Produkt und die Produktion integriert bewertet.
Ebenso vielfältig wie die Komplexität des betrachteten Unternehmens sind auch die zu bewertenden Ziel- und Messgrößen die eine Aussage über den Erfolg des Programms zulassen. Um den Erfolg nachhaltig messen zu können, reichen die herkömmlichen Werkzeuge des Controllings nicht aus. Eine isolierte Betrachtung finanzieller Kennzahlen wie Umsatz, Kosten und Investitionen in einem herkömmlichen Kennzahlensystem würde zu kurz greifen. Daher ist die Betrachtung aller Einflussgrößen in einem Bewertungssystem notwendig.
Ein bekannter Ansatz dieser sogenannten Performance Measurement Konzepte ist die von KAPLAN und NORTON beschriebene Balanced Scorecard (BSC). Diese ermöglicht es unterschiedliche Perspektiven einer Unternehmung bei der Leistungsbewertung zu berücksichtigen. Auf diese Weise fließen auch nicht finanzielle Aspekte und Kennzahlen in die Beurteilung mit ein (Kaplan/Norton, 1996). Neben der reinen Leistungsbeurteilung dient die BSC auch der Kommunikation bzw. Übersetzung von Mission und Vision eines Unternehmens in daraus abgeleitete operative Unternehmensstrategien. Die BSC erlaubt daher, im Gegensatz zu herkömmlichen Kennzahlensystemen, die strategische Führung einer Unternehmung (Junge, 2004). Für den vorliegenden Anwendungsfall bietet Sie daher alle notwendigen Voraussetzungen um den Erfolg des gewählten Ansatzes zum Komplexitätsmanagement ganzheitlich zu beurteilen.
Konzeption der Complexity Scorecard
Die Konzeption einer BSC für das jeweilige Unternehmen ist in fünf aufeinanderfolgende Schritte unterteilt. Die inhaltliche Ausgestaltung für die Complexity Scorecard ist im Folgenden kurz skizziert.
Schritt 1
Zunächst gilt es die unterschiedlichen Perspektiven der Bewertung zu definieren. Während das Grundkonzept der BSC die klassischen finanziellen Kennzahlen um eine Kunden-, eine interne Prozess- sowie eine Lern- und Entwicklungsperspektive ergänzt, sollten die Perspektiven der Complexity Scorecard gewährleisten, dass alle relevanten Aspekte des Komplexitätsmanagements Beachtung finden. Analog zum Aufbau des gewählten Ansatzes im zu bewertenden Programm wurden daher die Perspektiven Finanzen, Markt/Produkt, Produktion und Change Management gewählt (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Perspektiven der Complexity Scorecard
Die Perspektiven Markt, Produkt und Produktion (in Analogie zu den Unternehmensfunktionen Marketing, Entwicklung und Fertigung) stellen diejenigen Perspektiven dar, in der die Komplexität unmittelbar sichtbar wird. Die Perspektive Change Management beinhaltet die sogenannten „weichen Faktoren“, die für die Umsetzung eines ganzheitlichen Komplexitätsmanagementansatzes notwendig sind. Das Konstrukt der BSC bietet den idealen Rahmen um solche Veränderungsprogramme zu etablieren (Kaplan/Norton, 1996).
Schritt 2
Ausgehend von der Unternehmensstrategie wurden im zweiten Schritt die wesentlichen Ziele je Perspektive heruntergebrochen. Wie bei marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen üblich steht dabei die Steigerung des Unternehmensergebnisses im Vordergrund. Neben diesem Globalziel werden den gewählten Perspektiven spezifische Ziele zugeordnet. Diese zeigen die Konsequenzen reduzierter Komplexität jeder einzelnen Perspektive auf. Beispielhaft kann aus der Markt-Perspektive die Reduzierung der „Time-to-market“ genannt werden. Für Produkt und Produktion wäre die „Erhöhung der Qualität durch Standardisierung“ ein solches Ziel.
Schritt 3
Um diese Strukturen aufzudecken und zugleich zu einem ganzheitlichen Zielsystem und damit einer Strategie zu gelangen ist im dritten Schritt die Aufdeckung der Ursache- und Wirkungszusammenhänge notwendig (vgl. Abb. 2). Hierdurch werden zwei Aspekte transparent gemacht. Zum einen werden Zielhierarchien aufgedeckt. Ziele die in kein anderes einzahlen stellen dabei Oberziele dar, z. B. die Steigerung des Unternehmensergebnisses. Alle anderen Ziele stellen Zwischen- bzw. Unterziele dar. Zum anderen wird deutlich wodurch die jeweiligen Ziele beeinflusst werden. Somit können Handlungsfelder für Maßnahmen zu Zielerreichung abgeleitet werden. Generell sollten die Ziele so gewählt werden, dass der jeweilige Verantwortliche der Perspektive entsprechenden Unternehmensfunktionen diese auch beeinflussen kann. Die Analyse von Ursache und Wirkung hilft hierbei die notwendige Transparenz zu schaffen.
Abb. 2: Ursache-Wirkungs-Beziehungen der Ziele
Schritt 4 Im vierten Schritt des Vorgehens werden den identifizierten Zielen dann eindeutige Zielzustände und Messgrößen bzw. Kennzahlen zugewiesen. Diese machen den jeweiligen Zielerreichungsgrad bewertbar. Die Zielzustände und damit die (Soll-)Vorgaben der einzelnen Ziele sollten dabei stets realistisch festgelegt werden. Zudem kann es sinnvoll sein quantitative und qualitative Zielzustände und entsprechende Messgrößen zu definieren. Nur so wird gewährleistet, dass sich der betrachtete Ansatz der Complexity Scorecard von herkömmlichen Kennzahlensystemen der Leistungsbeurteilung absetzt.
Auch bei der Auswahl der Messgrößen bzw. Kennzahlen sollten einige Dinge beachtet werden. Zum einen sollten diese stets eine Interpretation der Ergebnisse und damit der Abweichung zwischen Soll- und Ist-Wert ermöglichen. Etwaige Abweichungen sollten sich durch die Verantwortlichen in klare Maßnahmen zur Zielerreichung übersetzen lassen. Die Operationalisierbarkeit der Ziele steht dabei im Vordergrund. Zum anderen sollten sich die Kennzahlen unter vertretbarem Aufwand erheben lassen. Das heißt, dass sich Daten aus den bestehenden Strukturen, Prozessen und Systemen beschaffen lassen. Die Perspektive Change Management dient eher der qualitativen Nachhaltigkeitsprüfung der Komplexitätsmanagementmaßnahmen. Hier gilt es zu messen, inwiefern die Ziele des Komplexitätsmanagements in der Organisation verankert sind. Mögliche Messverfahren bieten hier Fragebögen oder interne Studien.
Schritt 5 In einem abschließenden Schritt geht es um die Anwendung der Complexity Scorecard. Damit verbunden ist die Erhebung der Daten erstmalig und in regelmäßigen Abständen sowie deren Interpretation und Ableitungen operativer Maßnahmen.
Um den beschriebenen Prozess nachhaltig zu etablieren und damit die Complexity Scorecard als Planungs- und Steuerungsinstrument des Komplexitätsmanagements zu institutionalisieren ist eine klare Prozessbeschreibung und Zuweisung von Verantwortlichkeiten notwendig. Die prozessuale Verankerung der Complexity Scorecard ermöglicht eine langfristige Bewertung sowie indirekte Planung und Steuerung von Komplexität im Unternehmen.
Literatur
Amann, W./Krumm, S./Rennekamp, M./Stoffel, M.: Komplexitätscontrolling – Möglichkeiten und Grenzen, in: Gleich, R. (Hrsg.): Komplexitätscontrolling – Komplexität verstehen, reduzieren und beherrschen, Freiburg/München, 2013, S. 147-165.
Junge, M.: Controlling modularer Produktfamilien in der Automobilindustrie - Entwicklung und Anwendung der Modularisierungs-Balanced-Scorecard, Mainz, 2004.
Kaplan, R. S.; Norton, D. P.: Using the Balanced Scorecard as a Strategic Management System, in: Harvard Business Review, 74. Jg., 1996, H. 1, S. 76-85.
Ersteinstellende Autoren
Dr.-Ing. Michael Schiffer, Complexity Management Academy GmbH, [michael.schiffer@complexity-academy.com]
Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Till Vogels, Werkzeugmaschinenlabor WZL - RWTH Aachen, Lehrstuhl für Produktionssystematik, [1]