Potenzialprofil
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Strategische Planung ist das Klären dessen, was man tun oder auch lassen will. Es geht um die Erarbeitung des Erfolgspotenzials nach Märkten (Regionen oder Zielgruppen) und Produkten. Es geht um das Herausfinden von Know-how und Know-who, wobei das Wörtchen „know“ nicht mit Wissen, sondern mit Können oder Beherrschen übersetzt werden muss. Man kann etwas wissen und noch lange nicht im Griff haben. Der Unterschied zwischen Wissen und Können besteht in Zeit und Lehrgeld. Potenziale sind Fähigkeiten, der Kundschaft ein Problem zu lösen – besser als es die Wettbewerbskollegen vermögen. Und Potenziale wohnen in den Menschen, die miteinander im Unternehmen arbeiten.
Inhaltsverzeichnis
Der Arbeitsstil des Skalierens
Der Stoff der strategischen Planung ist zerbrechlich, flüchtig, schwer greifbar. Man kann nicht arithmetisch beweisen, dass man besser ist als die Konkurrenz. Also kann die Potenzialanalyse auch keine One-man-show sein, bei der etwas in stillen Kämmerlein durchkalkuliert wird. Das heißt für den Controller, dass er einen anderen Arbeitsstil beherrschen muss als das klassische Rechnen. Es geht um das Moderieren einer Teamarbeit. Dabei sind mehrere Punkte zu beachten. Zum einen, dass das Team bunt gemischt ist. Das gilt vor allem für die Disziplinen, aus denen die Leute stammen. Der Entwickler hat einen anderen Blickwinkel als der Verkäufer, der wiederum sieht die Dinge anders als der Kaufmann. Zum anderen muss man acht geben, dass ein dann zwangsläufig hierarchisch gegliedertes Team sich nicht auch hierarchisch verhält. Nicht dass das Urteil des Chefs/der Chefin das der Anderen überstrahlt. Jede Stimme zählt gleich viel, denn strategische Signale fängt nicht nur der Chef auf.
Man muss sich außerdem bewusst sein, dass das Ergebnis subjektiv sein wird. Aber was ist eigentlich nicht subjektiv? Auch eine scheinbar „objektive“ Investitionsrechnung ist auf Prämissen aufgebaut und damit angreifbar. Objektiv – sagte einmal ein Trainerkollege der Controller Akademie – gibt´s nur im Fotogeschäft. Alles andere ist subjektiv.
Beispiel einer Reifenhandelsunternehmens
Abb. 1: Potenzialanalyse eines Reifenhandelshauses – angelehnt an ein Originalbeispiel
Die erste Frage, die man sich stellen muss lautet: Was ist es, das der Kunde von uns als Problem gelöst haben möchte? Was ist ihm wichtig? Bewährt hat sich auch die Frage: Was hindert die Zielgruppe am meisten, unser Angebot anzunehmen? Das zwingt dazu, sich stets die Kunden – die Träger des Bedarfs – vor Augen zu halten und nicht die Produkte. Damit es nicht unübersichtlich wird, sollte man sich im Brainstorming auf etwa 10 Kriterien beschränken, ggf. muss man also zusammenfassen. Im zweiten Schritt müssen die Potenzialfächer mit einer Gewichtung versehen werden. Wie im Schulzeugnis: Sind es Haupt- oder Nebenfächer? Die Summe der Gewichtungen sollte – des einfacheren Rechnens halber – 100 ergeben. Schließlich wird eingeschätzt, wie gut man dieses Kriterium erfüllt im Vergleich mit einem direkten Wettbewerber. Empirisch findet man oft Fünfer-Skalen, wobei die Note drei den Wettbewerber repräsentiert (gleich gut), weniger wäre etwas bzw. sicher schlechter, mehr wäre etwas bzw. sicher besser. Wichtig ist, dass man hier einen Namen konkret benennt (im obigen Bespiel war es eine bundesweit agierende Discountkette). Bei mehreren gleich stark eingeschätzten Konkurrenten ist das Schema also mehrmals zu durchlaufen. Die Potenzialpunkte ergeben sich schließlich aus Gewichtung multipliziert mit Einschätzung.
Um die Vielfalt der Meinungen zu bewahren, bieten sich zwei Vorgehensweisen an: Die eine wäre, dass ein beurteilendes Team im Rahmen des Workshops an Pinnwänden (möglichst gleichzeitig) durch Striche oder geklebte Punkte markiert, wie viel ein Kriterium zählen soll und welche Note vergeben werden soll. Während dieses Vorgangs herrscht ein Diskussionsverbot, um die Unabhängigkeit der Teammitglieder zu gewährleisten. Eine andere Vorgehensweise wäre die, dass die Beteiligten ein solches Papier jeweils für sich ausfüllen – Prinzip der Wahlkabine – und dass der Controller-Moderator die Wertpunkte und Urteilsmarkierungen zusammenstellt. Das ist wahrscheinlich die unbefangenere und vielleicht auch ehrlichere Erkenntnisquelle. Selbst die Kundschaft ließe sich stichprobenartig vielleicht einmal für eine solche Analyse gewinnen, evtl. auch mit externer Hilfe.
Es kann sich herausstellen, dass in manchen der Skalen die Punkte oder Striche sich häufeln oder sich auch einmal über die ganze Bandbreite verteilen. Hat ein Unternehmen kritische Stellen, tritt gewöhnlich der Effekt der Bündelung auf. Natürlich kann man dann sagen, dass die Beteiligten das vorher schon so gewusst haben. Oft kommt dann eine Bemerkung wie: „Darüber haben wir schon so oft gesprochen“. Nur ist dieses Wissen im Kopf oder Reden darüber und das visualisierte Sehen doch ein erheblicher Unterschied. Denn spätestens jetzt ist allen klar, dass man etwas tun muss. Die Frage des Controller-Moderators lautet also: Durch welche Maßnahmen bauen wir diese Schwäche ab? Hier zeigt sich die Qualität eines Strategie-Workshops: Werden auch Termine und Verantwortliche für konkrete Umsetzungsmaßnahmen benannt oder belässt man es bei vagen Absichtserklärungen?
Übrigens wäre es grob fahrlässig, nur bei den Schwächen mit den Maßnahmen anzusetzen. Auch bestehende Stärken müssen ausgebaut werden. Das Tückische an dem Schema ist, dass durch Nichtstun Potenzialpunkte verloren gehen können: Nämlich wenn der Wettbewerber sich verbessert.
Skalieren und gutes Gefühl
Das Elegante an der Skalierung ist übrigens, dass auf diese Weise ein Gefühl, das der Kenner seiner Materie hat, besser nachvollziehbar wird. Eine Ahnung oder eine Einschätzung aufgrund von Erfahrung in messbare Zahlen (Kardinalzahlen) umzusetzen, ist schwierig bis unmöglich in vielen Fällen. Aber im Auspendeln lässt sich das gute Gefühl positionieren. Man braucht nur eine Weile seinen eigenen Zeiger auf sich wirken zu lassen, ein bisschen zu schieben nach links oder rechts und ihn dann schließlich dort zu Ruhe kommen lassen, wo es einen nicht mehr stört.
Budget-Strukturen als Schrittmacher
Bewährt hat es sich, wenn skalierende Ergebnisse mit Zahlen als Schrittmacher verknüpft werden. Der Selbsterkenntnis-Prozess über Stärken und Schwächen ist, weil abstrakt und überstrahlt, viel flüchtiger als die Frage, ob die Produktion bei der Realisierung des Absatzplans voll ausgelastet ist oder nicht. Also muss gerade der Controller sehen, dass er die Ernte einfahren kann, d.h. im engeren Sinne auch zu Zahlen kommt. So könnten Quo-Vadis-Überlegungen ganz harmlos mit der Frage eingeleitet werden, wie die Absatzmengen in den kommenden fünf Jahren aussehen sollen. Dann wäre zu fragen, was der Gesamtmarkt macht. Sobald der eigene Marktanteil als Verhältnis von Absatzmengen zu gesamten Marktvolumen sich verschiebt, ist die Frage nach einer Potenzialanalyse zu stellen. Eine Steigerung des eigenen Marktanteils – die gleichzeitig bedeuten muss, dass andere Marktanteile verlieren – ist nur dann plausibel, wenn die Noten im Potenzialbogen besser sind als die des Wettbewerbs. Stünden die Urteile besonders bei den wichtigen, hoch bewerteten Kriterien auf Mitte (gleich gut) oder bei schlechter, so ist die Annahme eines nach oben kletternden Marktanteils unrealistisch. Auf diese Weise ist eine qualitative, skalierende Untersuchung gleichzeitig auch eingefangen durch eine messbare Kenngröße.
Abbildung 2: Mehrjahres-Businessplan Markt
Im Beispiel wird eine Vergrößerung der Absatzmenge von 100 auf 240 vorgesehen. Bei einer 20%igen Steigerung des Marktvolumens verdoppelt sich also der Marktanteil innerhalb des Planungszeitraums. Sofort muss die Frage kommen, wem der Marktanteil abgenommen wird und warum die Kunden jetzt auf einmal bei uns kaufen sollen und nicht mehr beim Wettbewerb. Der Marktanteil als Zielmaßstab dient folglich als Umsteigebahnhof zwischen der strategischen und der operativen Planung. Sinn der Sache ist, rechtzeitig zu merken, dass z.B. eine bisherige Stärke sich verflüchtigt – möglichst bevor eine Auswirkung im Ergebnis sichtbar wird (Risikofrüherkennung).
Strategische Preiskalkulation („Value Pricing“)
Strategisches Controlling hört sich in der Regel nach top down an. Aber Perspektiven zur strategischen Planung, zur Entwicklung von Ergebnispotenzialen, ergeben sich auch bottom up aus Alltagsereignissen. Zum Beispiel im Vergleich von verschiedenen Angeboten bezüglich des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Beispiel: Es wird eine Maschine angeboten zum Preis von 120.000 Euro. Der Konkurrenzpreis liegt bei 95.000 Euro. Was geschieht jetzt? Oft heißt es: Kalkulieren Sie´s noch mal! Aber so geht es ja nicht! Ist die Kalkulation/Kostenträgerstückrechnung stimmig, kann nicht durch Drücken ein Ziel-DB anders ermittelt werden, nur um den Auftrag zu kriegen. Wohl aber lassen sich im Rahmen der bestehenden Kalkulation Zwischenziele einziehen, jeweils mit der Frage verknüpft, welche Teile der Strukturkosten jetzt durch diesen Auftrag keinen Deckungsbeitrag mehr erhalten.
Dieses operative Aufeinandertürmen der Kosten ist wohl die häufigste Eintrittskarte für den Controller in das Thema Kalkulation. Gleichwohl ist die Frage „Welcher Verkaufspreis ist nötig zur Kostendeckung?“ für das Unternehmen zwar wichtig, aus Sicht des Kunden aber völlig irrelevant. Denn den Kunden interessiert nicht, welche Kosten das Unternehmen hat, sondern was er für sein Geld bekommt. Also lautet die wichtigere Frage „Welcher Verkaufspreis ist am Markt möglich?“ Dazu kann das Potenzialprofil wichtige Hinweise liefern. Das (leicht modifizierte) Originalbeispiel der Abbildung 1 liefert eine Punktesumme von 333. Der Wettbewerber liegt bei 300, also knapp darunter. Wenn das Selbstbild des Unternehmens die Einschätzung der Kunden richtig wiedergibt, ist unsere Leistung höher einzustufen als die Konkurrenz. Das gilt natürlich nur für den Augenblick und kann sich jederzeit verändern.
Was z.B. ist es, durch das von dieser Fähigkeitsnote 333 Punkte etwas verloren gehen kann? Einmal könnten sich die Wettbewerber mehr anstrengen als wir. Dann könnten wir selber nicht aufpassen, was besonders dort der Fall sein kann, wo wir sehr gut sind. Man denkt, Stärken gepachtet zu haben, bemüht sich nicht mehr so in Verkauf und Entwicklung – und unbemerkt sind die Stärken weg. Oder die Kunden könnten etwas, was bisher Nebenfach war im strategischen Schulzeugnis, jetzt höher einschätzen. Oder aber es kommen gänzlich neue Fächer dazu, die bisher gar nicht gefragt waren.
Immer wieder übrigens passiert es, dass in ein Potenzialprofil als Kriterium der Verkaufspreis hineinwandert. Dass das geschieht, mag verständlich sein. Fragt man einen Verkäufer, worauf es den Kunden besonders ankäme, so hört man, dass es hauptsächlich der Preis sei. Dann aber ist jeder Preis über Null und ganz sicher ein Preis über dem der Konkurrenz ein Fehler. Die unentrinnbare Folgemaßnahme wäre, den Preis zu senken. Das kann aber nicht sein. Schließlich wird das Preis-Leistungs-Verhältnis gesucht. Der Preis ist das Ergebnis, nicht schon Bestandteil der Rechnung. Excel würde sagen: Zirkelbezüge auflösen! Nach unserem Verständnis ist der Preis nicht Bestandteil des gestifteten Kundennutzens, sondern vielmehr eine Folge davon. Es gilt das Prinzip der Küchenwaage: Der Nutzen, den der Kunde hat muss mehr wiegen als der Verkaufspreis. Das Potenzialprofil soll den Nutzen strukturieren (Differenzierungsstrategie).
Im obigen Beispiel des Reifenhändlers schätzte sich die Mannschaft des Unternehmens (übrigens ein gemischtes Team aus Chef, Controller, Marketing und Niederlassungsleitern) leicht besser ein als den Wettbewerber (333 zu 300). Der Trainer-Moderator stellte die Frage nach dem Preisniveau des Wettbewerbers. Es kam spontan aus dem Bauch heraus die Antwort: Wir sind ca. 10% teurer (also in etwa gleiches Preis-Leistungs-Verhältnis). Wegen des bestehenden Qualitätsimages kam eine Preissenkung nicht in Frage. Die einzige Möglichkeit in diesem Fall war: We try harder.